Untitled Film Stills - annalogue

Untitled Film Stills

Cindy Sherman ist ohne Zweifel eine der bedeutendsten zeitgenössischen Fotokünstlerinnen. Meine Selbstportrait-Serie „Untitled Film Stills“ ist eine Hommage an ihre frühe Arbeit aus den 1970er Jahren. Mich hat nicht nur ihre Arbeitsweise fasziniert, sondern auch die gesellschaftspolitische Komponente.

Ihre Kernfrage ist: „Was ist die Sphäre der Frau?“ In den späten 60er und 70er Jahren gab es gravierende soziale Umbrüche: Studentenrevolten, Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung, sowie die Emanzipation der Frau. Cindy Sherman greift die Veränderung der Rolle der Frauen auf. In ihren Untitled Film Stills (MoMa) inszeniert sie verschiedene Frauenfiguren, dabei handelt es sich nicht unbedingt um konkrete Filme – ihre Fotos sind ein Kommentar zu den stereotypen Rollenbildern der 40er, 50er und 60er Jahre. Bei meiner Auswahl habe ich einige Motive Sherman’s übernommen und die Serie um Filmszenen aus der Populärkultur von 1980 bis 2016 erweitert.

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Selbstportrait-Serie: Untitled Film Stills

Dabei  wird klar, dass sich die Bewegungs- und Handlungsspielräume für Frauen im Film geöffnet haben, Frauenfiguren haben mehr Agency und übernehmen vormals nur Männern vorbehaltene aktive und führende Rollen. Bis heute wird nur ein Drittel der Hauptrollen mit Frauen besetzt, das durchschnittliche Verhältnis von männlichen zu weiblichen Akteuren beträgt etwa 2,5  zu 1. Ein Instrument zur Beurteilung von Spielfilmen ist der sogenannte Bechdel-Test, dabei  müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Gibt es mindestens zwei führende Frauenrollen?  Sprechen zwei Frauen miteinander – über etwas anderes als einen Mann? Haben die Frauenfiguren eigene Namen? Da Populärkultur in Form von Film und Fernsehen maßgeblich zu unseren kulturellen Rollenvorstellungen beiträgt, engagiert sich ein internationales Netzwerk von Filmschaffenden Frauen (Women in Film and Television International) dafür,  weiblichen Produzenten, Regisseuren, Drehbuchautoren, Kamera- und Tontechnikern, usw. zu helfen, in der Branche Fuß zu fassen.

Inhaltlich ist die Serie auch als Kommentar zur Selfie-Kultur zu verstehen. Frauen sollen vor allem jung, schön und begehrenswert sein. Diese Ideale sind soweit internalisiert, dass Frauen sich selbst in einer Weise inszenieren, um möglichst viel Bestätigung der äußeren Attraktivität in Form von Clicks und Likes zu erhalten.  In meiner Serie ging es mir darum Szenen zu zeigen, in denen es eben nicht vordergründig um Schönheit oder vorteilhafte Posen geht.

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Während der Arbeit an diesem Projekt habe ich eine umfassende Film-Recherche gemacht. Die Frau sollte jeweils alleine im Bild sein und das Motiv  erzählt eine in sich geschlossene „Ein-Bild-Geschichte“: Die Szenen sind ambivalent und wirken bisweilen bedrohlich, was davor oder danach passiert erschließt sich nicht aus dem Bild. Die Blickrichtung deutet an, dass sich weitere Personen im Off befinden, zu denen aber keine weiteren Informationen geliefert werden. Als Inspiration dienten Klassiker des Film Noir, sowie Filme von Regisseuren die auf starke und komplex gezeichnete Frauenfiguren setzten, wie Hitchcock, Fassbinder, Tarantino oder Lars von Trier. Formal sind die Fotos sind Schwarz-Weiß gehalten, um einen Kontrast zur Bilderflut in den sozialen Medien zu schaffen, das Querformat ist eine Anlehnung an die Kinoleinwand. Da nicht alle Szenen eindeutig konkreten Filmen zuzuordnen sind, finde ich den Dialog mit den Bildbetrachtern sehr spannend. Welche spontanen Assoziationen und Erinnerungen werden beim Betrachten der Fotos geweckt?

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Nachfolgend ein kurzer Auszug aus meiner Filmrecherche:

1920: Lil Dagover (Das Cabinet des Dr. Caligari)
1932: Marlene Dietrich (Shanghai Express)
1963: Tippi Hedren (Die Vögel)
1970: Hanna Schygulla (Rio das Mortes)
1981: Barbara Sukowa (Lola)
1982: Rosel Zech (Die Sehnsucht der Veronika Voss)
1987: Jennifer Grey (Dirty Dancing)
1991: Anjelica Houston (Adams Family)
1994: Uma Thurman (Pulp Fiction)
1999: Mena Suvari (American Beauty)
2002: Milla Jovovich (Resident Evil)
2006: Mia Kirshner (Black Dahlia)
2009: Charlotte Gainsbourg (Antichrist)
2010: Natalie Portman (Black Swan)
2011: Claire Danes (Homeland)
2012: Jennifer Lawrence (The Hunger Games)

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Die klassische Portraitfotografie lebt von der Interaktion zwischen dem Portraitierten und dem Fotografen. Wie an einem Filmset mit Regisseur und Schauspieler findet eine verbale und nonverbale Kommunikation statt. Vorab werden die Szene und Stimmung besprochen, das Modell bietet etwas an, der Fotograf führt und korrigiert die Position im Raum. Bei Selbstportraits fällt dieses Element weg – was die Arbeit besonders spannend, aber auch komplex macht. Bei den Vorbereitungen für ein Motiv übernimmt man alleine alle Aufgaben eines Teams: Kostüme, Makeup und Frisur, Set Design, Beleuchtung und Kameratechnik.

Die Innenaufnahmen habe ich zu Hause oder bei Freunden aufgenommen. Da jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des Raums auf den Bildern zu sehen ist, konnten die gleichen Räume für ganz unterschiedliche Motivideen genutzt werden. Variiert man die Beleuchtung – Fensterlicht, geschlossene Jalousien, Licht von vorhandenen Lampen, dramatische Spots, gerichtete Studiobeleuchtung – kommt eine ganz andere Bildwirkung zustande. Für die Außenaufnahmen habe ich Orte gewählt, die ich regelmäßig als Foto Location nutze und an denen man ohne viel Publikumsverkehr in Ruhe arbeiten kann. Da ich nie ganz sicher sein konnte, ob nicht doch ein Passant meine Kamera klaut wenn ich mehrere Meter entfernt stehe, habe ich mich bei belebteren Locations von Assistenten begleiten lassen, die aber lediglich die Aufgabe hatten die Kamera zu bewachen.

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Sobald die Kamera auf dem Stativ positioniert und der Bildausschnitt gewählt ist, wechselt man die Seiten und fängt an, die Rolle zu spielen. Es ist eine „Arbeit im Blindflug“, da niemand die Bilder während des Fotografierens sieht. Den Fokus habe ich mal manuell, mal mit Autofokus eingestellt. Entweder hält man eine bestimmte Entfernung ein oder man bewegt sich in der Achse des gewählten Autofokuspunkts. Durch den ständigen Wechsel zwischen vor und hinter der Kamera erfordert diese Arbeitsweise ein hohes Maß an Konzentration. Der Funkfernauslöser ermöglicht eine Kameraposition aus größerer Entfernung und ohne sichtbare Kabelverbindung im Bild. Auf moderne Technik wie Remoteauslösung über das Smartphone habe ich bewusst verzichtet, um beim Spielen der Rolle nicht durch den Blick auf das Display abgelenkt zu werden. Der Auslöser ist klein und handlich, bei einigen Motiven ist im Bild zu sehen, bei anderen Motiven, bei denen beide Hände frei und in Aktion sind, konnte ich den Knopf geschickt verstecken.